Ein Berg ist weder wahr noch unwahr

Kusen von Roland Yuno Rech - Nizza, 20. Juni 2014

Während des Zazen richten wir unsere gesamte Energie auf die Körperhaltung und unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Atmung. Wir achten darauf, unseren Gedanken nicht zu folgen und hören auf zu bewerten. Natürlich entstehen Gedanken und Bewertungen, aber wir verweilen nicht bei ihnen. Wir werden uns ihrer für einen Moment gewahr und kehren zurück zur Körperhaltung und zur Atmung.

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So werden wir nicht mehr von unserem bewertenden Geist geleitet. Der Geisteszustand in Zazen soll eine wahre Wandlung erfahren und durch diese innere Revolution die gewöhnliche Denkweise aufgeben, die durch "Ich mag, ich mag nicht" bedingt ist. Gewöhnlich wird der Geist durch unsere Emotionen, Wünsche und Abneigungen bestimmt. Durch die Wandlung werden sie nicht verdrängt oder unterdrückt, sondern sie verlieren an Wichtigkeit.


Aber dies können wir nicht willentlich tun. Wir können nicht beschließen aufzuhören mit Bewerten, Bevorzugen oder Ablehnen, denn auch das wäre wieder Bevorzugung oder Bewertung. Nur die völlige Konzentration auf das Üben mit dem Körper macht es möglich, über den dualistischen Geist hinaus zu gehen und den Hishiryo-Bewusstseinszustand zu verwirklichen. Shiryo ist der Geist, der ständig wertet und vergleicht, also die mentale Funktionsweise des Ego.

Wenn die Zazen-Praxis voller Energie und stärker als unsere mentalen Gewohnheiten wird, können wir über diese gewöhnliche Funktionsweise hinausgehen. Die Praxis selbst führt uns darüber hinaus. Sie erleichtert das Loslassen. Noch einmal: Loslassen zu wollen ist sehr schwierig, aber wenn wir uns in die Praxis vertiefen, geschieht das Loslassen auf natürliche Weise, da unsere Energie nicht auf den Wunsch des Ergreifens, des Besitzens oder des Ablehnens gewendet ist.

In Zazen können wir klar erkennen, dass all die dualistischen Einstellungen, wie das Festhalten am Wahren, Unwahren, Guten und Bösen das Ergebnis unserer geistigen Gebilde sind. Ein Berg ist weder wahr noch unwahr, er ist einfach so, wie er ist. Ein Tiger ist weder gut noch schlecht, er ist einfach so, wie er ist.

Der Mensch bewertet, weil er ein Ego ausgebildet hat und sich mit diesem Ego identifiziert. Also ist für ihn gut und schön, was für das Ego von Vorteil oder angenehm ist, und schlecht, was das Ego stört. Selbst wenn im täglichen Leben diese Unterscheidungen und Bewertungen unvermeidlich sind, können wir in Zazen darüber hinausgehen. So können wir uns mit der Lebenswirklichkeit jedes Augenblicks versöhnen und zunehmend das was ist, so wie es ist, akzeptieren. Wenn es heiß ist, ist es einfach nur heiß. Es besteht kein Grund über die Hitze zu schimpfen. Dadurch vermeiden wir, den Geist aufzuheizen und der Realität des im gegenwärtigen Moment Gelebten alle möglichen Emotionen hinzuzufügen.

Dies bedeutet nicht totale Passivität gegenüber den Erscheinungen, denen wir begegnen, sondern es bedeutet emotionales Reagieren zu vermeiden. Wir lassen uns die Zeit und geben uns die Möglichkeit, wirklich zu sehen, was geschieht und dann in aller Ruhe zu entscheiden, welche Maßnahmen wir, entsprechend unseren Werten und nicht entsprechend unseren Wünschen und Abneigungen, ergreifen.
Durch die Erfahrung in Zazen, jenseits aller Dualität, allen Dualismus zu sein, können die Erscheinungen des täglichen Lebens mit viel mehr Gelassenheit angegangen werden. So kann der Bodhisattva in der Welt leben und seine Praxis des Erwachens mit anderen fortsetzen, um ihnen wirklich zu helfen, ohne zu leiden oder sich aufzuopfern, sondern vielmehr als eine Erweiterung der Zazen-Praxis, einer Art erwacht zu leben.

 

 

 

Tags: Roland Yuno Rech

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