Den Weg zu gehen ist nicht schwer

Kusen von Roland Yuno Rech – Nizza, April 2015

Den Weg zu gehen ist nicht schwer,
Aber es darf weder Gier, noch Hass, weder Wahl, noch Ablehnung geben.

Diese ersten beiden Verse des Shin Jin Mei drücken die Essenz des Buddha-Weges, die Essenz unserer Zazen-Praxis aus. Der Weg, das Tao, ist sowohl die kosmische Ordnung, die höchste Realität, als auch die Praxis, die es dem Menschen erlaubt, sich mit dem zu harmonisieren, was wirklich zu dieser ultimativen Wahrheit oder Realität gehört.

Roland RechIm Allgemeinen wird unsere Sicht der Realität durch unsere Emotionen, das heißt unsere Vorlieben und Abneigungen verzerrt. Abhängig von unserem Karma und unseren Konditionierungen urteilen wir, ob etwas gut ist. Die Zazen-Praxis ermöglicht es uns, Abstand zu diesem Karma, diesen Konditionierungen zu bekommen, indem wir erkennen, wie sie sich während Zazen in unserem Geist manifestieren, ihnen aber nicht mehr anhaften. Das heißt, wir sehen sie als das an, was sie sind, Konditionierungen.

Nicht mehr von unseren mentalen Gewohnheiten, unserer Geschichte, unserer Gesellschaft, der Mode oder Ideologien konditioniert zu sein und uns nicht mehr nach ihnen zu richten, bedeutet nicht, überhaupt keine Entscheidung zu treffen, denn im Leben sind wir ständig gezwungen, auszuwählen. Selbst in Zazen, wenn wir von Gedanken und Sorgen heimgesucht werden, entscheiden wir uns, sie fallenzulassen, oder aber manchmal, uns um sie zu kümmern und über sie nachzudenken.

Den Weg zu gehen bedeutet also nicht, ein völlig kontemplatives Leben ohne jede Handlung zu führen und jede Form der Wahl zu vermeiden. Es geht darum, Entscheidungen frei von unseren egoistischen Vorlieben zu treffen und nicht mehr von unseren Emotionen konditioniert zu sein. Dies bedeutet jedoch nicht, keine Emotionen mehr zu empfinden, sondern sie als das zu sehen, was sie sind, ohne ihnen unterworfen zu sein.

Indem wir aus dem täglichen Leben aussteigen, um ins Dojo zu gehen und Zazen zu praktizieren, geben wir uns die Gelegenheit, eine andere Seinsweise zu erfahren, die von der Last der Vergangenheit befreit ist, und das tägliche Leben in einem neuen Licht zu sehen. Kodo Sawaki drückte es so aus: „Die vom Karma gefärbte Brille absetzen, die unsere Sicht der Realität verfälscht.“

Zazen ist aber nicht nur ein glückliches Intermezzo oder die Rückkehr zum friedlichen Geist innerhalb eines in Phänomenen versunkenen, unruhigen und oft schmerzhaften Lebens. Es ist nicht nur ein Intermezzo, denn das, was wir im Zazen erfahren, verändert tiefgehend unsere Sichtweise auf die Dinge im Leben. Wir können sie aus einer tieferen Perspektive betrachten und so Entscheidungen treffen, die nicht nur unsere kleinen persönlichen Interessen, unsere Vorlieben oder Abneigungen berücksichtigen, sondern auch das Gemeinwohl.

Unser wahres Leben ist ein Leben in völliger wechselseitiger Abhängigkeit von allen Wesen. Wer dies ignoriert, verurteilt sich selbst zum Leiden und schafft Leiden für andere. Wer dies hingegen berücksichtigt, gibt sich die Möglichkeit, ein glückliches Leben zu führen, das einen Sinn hat und keine Konflikte erzeugt, jedenfalls nicht so viele. Es ermöglicht ihm auch, in ihm den emotionalen Aspekt, den man nicht abschaffen kann, mit der Weisheit, die einen letztlich leiten soll, zu harmonisieren.

Ist es nun schwer, den Weg zu gehen? Es ist auch nicht einfach, denn es widerspricht all unsere mentalen Gewohnheiten. Da aber das Befolgen unserer mentalen Gewohnheiten unser Leben schwierig macht, ist es letzten Endes nicht so schwer, den Weg zu gehen. Und je mehr wir praktizieren, desto einfacher, natürlicher und offensichtlicher wird es. Unsere mentalen Komplikationen lösen sich rascher auf im weiten Geist, im Geist, der die Fähigkeit hat, alle Widersprüche zu umfassen, die in der Tat nur scheinbar sind.

Jeden Tag mit der Zazen-Praxis zu beginnen, ist daher die beste Art und Weise, um aus jedem Tag eine Gelegenheit zu machen, den Weg zu praktizieren, nicht nur während einer Stunden Zazen, sondern in allen aufeinanderfolgenden Momenten des beginnenden Tages.

 

Tags: Roland Yuno Rech

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