Nicht denken, sondern leben

Kusen von Roland Yuno Rech - Nizza, September 2015

Konzentriert euch während Zazen fortwährend auf eure Körperhaltung, besonders auf die Senkrechte eures Rückens, das Kinn zurück, Nacken und Wirbelsäule gut gestreckt und die Schultern entspannt. Atmet ruhig durch die Nase ein und aus, entspannt den Bauch, lasst das ganze Gewicht des Körpers auf das Zafu und auf die Knie sinken.

2377 vivre

Wenn man sich auf diese Weise auf die Körperhaltung konzentriert und die Atmung beobachtet, kann man leicht alle Phänomene, die in unserem Geist auftauchen, vorbeiziehen lassen.

Normalerweise versuchen wir das zu ergreifen, was uns gefällt, was wir mögen und das, was wir nicht mögen, zu verwerfen oder zu vermeiden, so dass wir einen ständigen Kampf führen, um dieses zu erlangen und jenes zu vermeiden. Deshalb befinden wir uns selten in einem friedlichen Zustand.

Aber während Zazen lässt sich die Haltung unseres Körpers - regungslos wie ein Berg - durch nichts erschüttern, was es auch immer sei, und das beeinflusst den Geist, der wiederum aufhört, sich durch Gefühle, Sorgen und Gedanken wegreißen zu lassen. Da man weder irgendetwas verfolgt noch etwas zurückdrängt, legt sich die Unruhe des Geistes, es wird still im Inneren, und man findet einen tiefen Frieden und eine große Freiheit im Geist. Denn beim Zazen ist der Geist nicht darauf ausgerichtet zu ergreifen, was er mag oder zurückzuweisen, was er nicht mag.

So kann unser Geist alles, was wir uns vorstellen - jede Sache, jede Situation, jedes Wesen -, in einer viel objektiveren Art und Weise betrachten, indem wir unsere Sicht von Vorlieben und Abneigungen frei sein lassen. Und selbst wenn sich unsere Vorlieben und Abneigungen beim Zazen in unserem Geist zeigen, beobachten wir sie so, wie wir jedes andere Phänomen beobachten würden, damit unser Geist beim Zazen immer viel weiter als das ist, was ihn durchzieht, beschäftigt oder beunruhigt. Dieser weite Geist hat die Kraft, uns von unseren Anhaftungen und Gewohnheiten zu befreien und in uns eine neue Sicht auf unser Leben entstehen zu lassen.

Meister Deshimaru sagte uns oft, dass wir Zazen so praktizieren sollten, als stiegen wir in unseren Sarg. Was bliebe in diesem Moment noch Wichtiges? Sicherlich würden viele unserer gegenwärtigen Sorgen verschwinden. Warum sollten wir also auf die letzten Momente unseres Lebens warten, um den Frieden unseres Geistes zu finden?

Besser wäre es, jeden Morgen beim Aufwachen Zazen zu praktizieren und so den Tag mit einem weiten Blick auf unser Leben zu beginnen, unser ganzes Leben vom Standpunkt Buddhas aus zu betrachten, das heißt vom Geist des Erwachens aus. So wird diese Praxis wahrhaftig zu einer inneren Revolution, die uns Ruhe schenken kann, indem sie uns eine neue Art zu Funktionieren erahnen lässt, besonders aber, indem sie uns dies ausprobieren lässt – es nicht einfach nur sich vorzustellen, sondern es wirklich zu leben.

Was also im Zazen möglich ist, kann genauso gut im Alltag erlebt werden, wenn wir uns wieder sorgfältig auf unsere Gesten, unseren Körper, unsere Atmung konzentrieren, wenn wir aufmerksam im Hier und Jetzt sind, was voraussetzt, dass wir alle Gedanken ziehen lassen und uns von ihnen nicht mitreißen lassen - anders gesagt, wenn es uns gelingt, den Geist wirklich zu beherrschen.

 [Transkription eines Mitschnitts, als Podkast (auf französisch) herunterladbar von der Website des Gyobutsuji-Tempels:
 http://zen-nice.org/gyobutsuji/1885/ne-pas-imaginer-mais-vivre/  ]

Tags: Roland Yuno Rech

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