Mit einem friedlichen Geist und ohne Angst

Kusen von Frauke Bleßmann – Köln, April 2020

Es ist ein tiefes menschliches Bedürfnis, sich in Sicherheit zu wiegen, und ein durchstrukturiertes Leben gibt den meisten Menschen dieses Gefühl. Aber Sicherheit ist nur ein geistiges Konstrukt; nichts bleibt so, wie es ist, alles ist der Unbeständigkeit und ständigen Transformation unterworfen.

Wir leben hier an einem Ort dieser Erde, wo die meisten von uns nie mit Krieg, staatlicher Gewalt wie Diktaturen oder Katastrophen anderer Art persönlich in Berührung gekommen sind. Natürlich hat jeder in seinem Leben auch seine eigenen Probleme, die aber meistens durch unseren persönlichen Blickwinkel des Egos auf eine Situation induziert sind. Vor allem sind sie schwer aufzulösen, weil wir dazu neigen, sie zu dramatisieren und viel Energie in sie reinzustecken.

In diesen Tagen erlebe ich immer wieder Menschen, die voller Angst und Unruhe auf die Situation schauen, in die uns die Pandemie gebracht hat, meist weniger aus Angst vor einer Infektion, sondern weil ihre Freiheit beschnitten ist und ihnen die Struktur ihres Tagesablaufs genommen wurde. Aber wahre Freiheit im Sinne des Zen hat nichts mit äußeren Faktoren zu tun. Wir sind nur dann wirklich frei, wenn wir uns nicht von ihnen abhängig machen und die Dinge so annehmen, wie sie kommen, uns von unserer Vorstellung von Freiheit lösen.

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Unser Leben ist mit dem Lauf eines Flusses vergleichbar: er entspringt aus seiner Quelle und fließt mehr oder weniger lange, immer wieder mit Hindernissen konfrontiert, zum Meer, in das er dann schließlich mündet. So können wir die aktuelle Situation als ein Hindernis auf unserem Lebensweg betrachten, mit dem wir einen Umgang finden müssen. Es hängt von jedem selbst ab, wie er sein Leben lebt, wie er es in die Hand nimmt und mit Hindernissen und Problemen umgeht.

Als Praktizierende des Zen-Weges haben wir die Chance, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist, und sie zu akzeptieren. Auf verschiedene Dinge haben wir ohnehin keinen Einfluss, aber wir können gemeinsam unser gyoji und unsere Zazen-Praxis fortsetzen und füreinander da sein – als Bodhisattvas im Leben sein und unserer Umgebung mit Mitgefühl und Weisheit begegnen. Wie Meister Dogen sagte: „Ein einzelner Mensch, der Zazen praktiziert, hat eine Wirkung auf das ganze Universum.“ So können wir in der jetzigen Situation auf unsere direkte Umgebung wirken.

Hier noch ein Ausschnitt aus einem Kusen von Roland Rech:

Während Zazen ist es nicht nötig, an Buddha oder Satori zu denken. Es reicht aus, klar zu beobachten, was hier und jetzt in uns geschieht. Wir sehen zu, wie unsere Gedanken und Empfindungen erscheinen und verschwinden, und werden ganz vertraut mit der Unbeständigkeit aller Phänomene, die uns ausmachen.

Wenn wir Angst vor dieser Unbeständigkeit haben und sie ablehnen, leiden wir. Wenn wir sie hingegen akzeptieren, sind wir von jeder Furcht befreit. Wir sind befreit von den Giften unseres Geistes, von Gier und Hass, von der Gier nach dem, was wir erlangen wollen und vom Hass gegen alles, was uns daran hindert, das zu bekommen, was wir uns wünschen.

Solange wir von diesen Geistesgiften beherrscht werden, leben wir im Samsara, in einer Folge von Glück und Unglück. Dabei bleibt im Grunde immer eine gewisse Sorge, denn wir wissen genau, dass das, woran wir uns klammern, nicht andauern wird. Wenn wir jedoch lernen, uns auf diese Unbeständigkeit einzustellen, wird sie uns nicht nur keine Sorgen und kein Leiden mehr verursachen, sondern sie wird im Gegenteil unser bester Freund. Wir können darauf vertrauen, dass das, was uns gerade Leiden verursacht, nicht andauern wird, so wie eine Mutter ihrem weinenden Kind sagt: „Mach‘ dir nichts draus. Das geht vorbei.“

In diesem wiedergefundenen Frieden des Geistes realisieren wir, dass uns im Grunde nichts fehlt. Wir haben dann nicht nur keine Angst mehr, das zu verlieren, an das wir uns klammern, wir brauchen auch gar keinem Objekt mehr hinterherzulaufen. Wir lassen den Bereich des Habens hinter uns und harmonisieren uns mit unserem tiefen Sein. Dieses Sein ist nicht „Etwas“. Es ist die Grundlage unserer Existenz in völliger wechselseitiger Abhängigkeit mit allen Wesen.

Das ist es, was man Buddha-Natur nennt. Wer dazu erwacht, lässt das Gift der Unwissenheit hinter sich und kann mit einem friedlichen Geist und ohne Angst leben.

 

 

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