Zum neuen Jahr

Kusen von Roland Yuno Rech – Nizza, Januar 2018

Zwei Mönche waren einmal auf Pilgerschaft unterwegs. Als sie an einen Fluss kamen, fanden sie dort kein Boot zum Übersetzen und beschlossen, eine Furt zu suchen, um den Fluss zu Fuß zu durchqueren. Als sie diese fanden, sahen sie dort ein Mädchen, das sich nicht durch den Fluss traute. Es bat die beiden Mönche um Hilfe, worauf einer der beiden ihm anbot, es auf dem Rücken auf die andere Seite zu tragen. Er stieg also mit dem Mädchen auf dem Rücken ins Wasser und kam sicher am anderen Ufer an, wo er es absetzte. Das Mädchen dankte ihm und die beiden Mönche setzten ihren Weg fort.

Der andere Mönch sagte zunächst kein Wort. Erst nach einer Weile sagte er : « Du hättest das Mädchen nicht auf dem Rücken tragen sollen, denn ein Mönch darf keine Frau berühren. Du hast schwer gegen die Gebote verstoßen. » Der Angesprochene antwortete : « Ich habe das Mädchen am anderen Flussufer abgesetzt, während du es immer noch im Kopf mit dir trägst. »

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Sehr oft tragen wir im Kopf alle möglichen Dinge aus der Vergangenheit mit uns herum, die überhaupt keinen Bezug zur Gegenwart mehr haben, sondern die nur unseren Geist belasten und uns daran hindern, in jedem Augenblick für neues Leben präsent zu sein. Daher ist ein neues Jahr die Gelegenheit, sich wirklich darauf zu konzentrieren, sein Leben zu erneuern.

Natürlich gibt es gute alte Gewohnheiten, die man beibehalten (oder neue, die man schaffen) sollte, denn Gewohnheit erleichtert das Leben,da man nicht jedesmal neu überlegen muss, was man wie machen soll. Aber Gewohnheit darf nicht zur Routine werden.Ein Jahresbeginn ist die Gelegenheit, sein Leben zu beobachten – besonders aus der Perspektive der Zazenpraxis – und auf überholte Gewohnheiten aufmerksam zu werden, um einen neuen und frischen Geist zu finden.

Der Zazengeist versetzt uns in die Lage, in jedem Augenblick alle unseren mentalen Konstrukte loszulassen. Durch die Konzentration auf unseren Körper sind wir immer vollständig im « Hier » und unsere Atmung bringt uns immer wieder zurück ins « Jetzt », wenn wir sie aufmerksam verfolgen. Zazen praktizieren heißt ständig einen neuen Geist finden, der der sich ständig erneuernden Wirklichkeit gegenwärtig ist.

Zazen beschränkt sich nicht auf die Zeit, die wir im Dojo verbringen. Ausgehend von Zazen können wir auch im Alltag immer wieder zur Konzentration auf unseren Körper zurückkehren und das nicht nur, wenn wir in Zazen sitzen, sondern auch, wenn wir gehen, essen oder arbeiten.

Zum Körper, zur Atmung, zum Hier und Jetzt zurückkehren. Alles loslassen, was nichts mit dem realen aktuellen Leben zu tun hat und so in seinem Leben kreativ sein können. Aus der Routine ausbrechen und neue Funktionsweisen erfinden, die stärker im Einklang mit den Lehren von Zazen stehen, d.h. ein Leben in Einheit mit unserer Umwelt, ein Leben, das unserer wechselseitigen Abhängigkeit mit allen Wesen voll Rechnung trägt, also ein verantwortungsbewussteres, mit mehr wirklichem Sinn gefülltes Leben, dem Sinn des Einklangs mit allen Wesen.

Dies ist der Sinn des Buddhaweges und alle Phänomene des Alltags sind Gelegenheiten, ihn zu praktizieren. Auf diese Weise ist überall Dojo und  immer  Zeit zu praktizieren. Alle Phänomene sind Koans, die uns Wahrheit vermitteln, wenn unser Geist dafür offen und empfangsbereit ist. Das wird durch eine regelmäßige allmorgendliche Zazenpraxis bewirkt.

Und da gerade die Zeit der Neujahrswünsche ist, wünsche ich euch allen, weiterhin jeden morgen zu praktizieren und die Praxis den Tag hindurch fortzusetzen, um so den Zazengeist um euch herum zum Wohle aller Wesen zu verbreiten. Einen Geist des Friedens, der Freude und der Freiheit.

Mit meinen besten Wünschen zum Neuen Jahr!

Tags: Roland Yuno Rech

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