Eine Praxis der Befreiung
Kusen von Roland Yuno Rech – L’Arche, September 2019
Konzentriert euch vom Beginn des Zazen an vollständig auf eure Haltung. Kippt das Becken nach vorne, drückt die Knie auf den Boden. Ab der Taille richtet ihr eure Wirbelsäule auf, streckt sie nach oben, streckt auch den Nacken, als ob ihr mit dem Scheitel den Himmel berühren wolltet. Das Kinn ist zurückgezogen, die Schultern sind locker, der Bauch ist entspannt. Durch die Nase wird tief ein- und ausgeatmet, das Gesicht ist entspannt, der Blick ist gerade vor sich auf den Boden gerichtet, ohne einen bestimmten Punkt zu fixieren.
Es ist nicht notwendig, die Augen zu schließen, um konzentriert zu sein, auch wenn man sie manchmal zu Beginn des Zazen für einige Augenblicke schließen muss. Eigentlich sollte man sie halb geschlossen halten und den Blick vor den Knien ruhen lassen. Tatsächlich ist der Blick auf sich selbst gerichtet, d. h. man beobachtet seinen Körper, lockert die angespannten Bereiche, streckt ständig die Wirbelsäule und achtet darauf, dass das Kinn gut eingezogen ist.
Und man lässt nicht den Kopf sich nach vorne neigen. Dieses "nach vorne neigen" ist so, als ob man der Last seiner Gedanken ausgesetzt wäre, die so schwer wiegen, dass der Kopf nach vorne fällt. Wenn ihr das Kinn einzieht und den Nacken aufrichtet, werdet ihr feststellen, dass ihr euch schnell konzentrieren könnt und nicht von den Gedanken gestört werdet, die immer seltener werden und schneller vorbeiziehen. Zumal man bei ihrer Beobachtung erkennen kann, dass sie völlig unbeständig und ohne Substanz sind, ebenso wie ihr Gegenstand. So lösen sich alle unsere Sorgen auf, da sie nichts mit unserem Leben hier und jetzt zu tun haben.
In dieser Haltung, in diesem Dojo, in dieser Sangha kehrst du ständig zu deinem wirklichen Leben hier und jetzt in deinem Körper zurück, so dass du alle störenden Gedanken loslässt. Das bedeutet nicht, dass du ohne Gedanken sein wirst, aber ohne Anhaftung an diese Gedanken. In diesem Moment sind sie nicht mehr störend, sie verrinnen wie fließendes Wasser. Dann kann der von diesem Gedankenfluss befreite Geist seine wahre Natur erkennen, die schwer fassbar, weil extrem weitreichend ist. Der wahre Geist, der mit keinem Objekt identifizierbar ist, umfasst alles, wird weit, während er auf nichts verweilt.
Wie ihr wisst, ist es der berühmte Satz aus dem Diamant-Sutra "Wenn der Geist auf nicht verweilt, erscheint der wahre Geist", der Meister Eno, den sechsten Patriarchen, erleuchtete und ihn dazu gebracht hat, den Weg des Zen zu betreten. Ihr habt diesen Weg bereits betreten, aber wenn ihr ihn vertiefen wollt, konzentriert euch auf diese Unterweisung: "Wenn der Geist auf nichts verweilt, erscheint der wahre Geist."
Der Ausdruck "wahrer Geist" bedeutet nicht, dass es einen falschen und einen wahren Geist gibt, sondern weist auf eine falsche und eine wahre Funktionsweise hin. Die falsche Art und Weise besteht darin, sich auf seine Gedanken zu konzentrieren und an ihnen festzuhalten. Die rechte Art und Weise besteht darin, sich sofort dessen bewusst zu sein, was auftaucht, sofort die Natur des Erscheinenden zu erkennen und es vorbeiziehen zu lassen, so dass der Geist ständig verfügbar ist und vor allem in der Lage ist, das Erscheinende wahrzunehmen, ohne es mit der Färbung seiner geistigen Projektionen zu versehen. Das nennt man, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Und wenn der Geist seine Färbung hinzufügt, diese Färbung sofort sehen und vorbeiziehen lassen. Mit anderen Worten: Sich dessen, was geschieht, voll bewusst sein und es dennoch vorbeiziehen lassen.
Aus diesem Grund sagte Meister Deshimaru, dass Zazen keine Meditation ist, denn man meditiert nicht über die Gedanken, man ergreift nicht von ihnen Besitz. Man nimmt intuitiv, unmittelbar, ihre Leerheit wahr. So ist Zazen eine Praxis der Befreiung vom Mentalen und ermöglicht die Verwirklichung der wahren Natur unserer Existenz, ohne irgendetwas Trennendes, irgendetwas Autonomes, also ohne irgendetwas Greifbares. Dann ist das Loslassen die einzig richtige Haltung, die man haben sollte. Dies wird während des Sesshins praktiziert, nicht nur während Zazen, sondern auch im täglichen Leben.
Der Sinn des Sesshins besteht darin, jeden Augenblick des Tages zu Momenten der Praxis zu machen: während der Zeremonie, während des Spaziergangs, während der Genmai, während des Samu. All diese Gelegenheiten bieten sich uns, um uns hier und jetzt zu konzentrieren, Körper und Geist in Einheit mit dem, was wir tun. Und dabei gleichzeitig auf andere und unsere Umgebung achten.
Konzentration in Zazen und im Alltag ist keine Nabelschau, es geht nicht darum, immer nach innen gerichtet zu sein und zu ignorieren, was um einen herum geschieht. Im Gegenteil, man befreit sich von geistigen Blockaden und entwickelt die Fähigkeit, sich für andere zu öffnen.
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