« Zen » bleiben *
Kusen von Roland Yuno Rech, Godinne 2022
Man hört heute oft den Ausdruck „zen bleiben“. Das Wort Zen wird gern in der Werbung eingesetzt, um die Qualität gewisser Produkte hervorzuheben. So werden z.B. Autos als „zen“ angepriesen. Im sozialen Leben bedeutet „zen“ eine Haltung der Ruhe und Gelassenheit, ungeachtet äußerer Umstände. Gleichmütig, guter Laune bleiben, und das gleichermaßen in beglückenden wie in widrigen Situationen.
Tatsächlich ist Gleichmut einer der Wege des Erwachens. In der Zenpraxis resultiert er aus dem Befolgen des Rates von Meister Sosan, der am Anfang seines Shinjinmei steht: „Den Buddhaweg zu gehen ist nicht schwer, wenn man frei von Begierde, Hass, Vorliebe und Ablehnung ist.“ Mit anderen Worten, damit beginnen, die Wirklichkeit hier und jetzt zu akzeptieren, so wie sie ist. Wenn es warm ist, ist es einem durch und durch warm, wenn es kalt ist, ist es einem durch und durch kalt. Man kann an der Situation nichts ändern. Um also gleichmütig zu bleiben, muss man damit beginnen, die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist. Das ist einfach so!
Das bedeutet jedoch nicht, dass man nicht versuchen sollte die Situation zu verändern und die Heizung höher zu drehen, wenn es kalt ist, um bei dem Beispiel zu bleiben. Aber dazu bedarf es eines tiefen Verständnisses der Situation. Wir können unsere Bonno, unsere Illusionen erst dann verändern, wenn wir ihre Natur in der Tiefe verstanden haben. Dazu befähigt uns unsere Zazenpraxis, die uns immer vertrauter mit uns selbst werden lässt.
Im Zusammenhang mit dem Gleichmut zitiert Meister Dogen folgenden Ausspruch von Meister Sosan: „Was auch immer ich sage, nehmt es nicht an!“ Mit anderen Worten: Nehmt nichts von dem, was ich euch sage, für bare Münze, bevor ihr es nicht selbst überprüft habt. Oder noch anders ausgedrückt: Vertraut eurer eigenen Erfahrung!
Das Praktizieren von Gjoji, d.h. das regelmäßige Üben der Praxis, die uns übermittelt wird, versetzt uns in die Lage, das Gehörte zu verdauen und es uns so zu eigen zu machen, es uns einzuverleiben. Das ist Bestandteil des Gleichmutes. Befolgt man eine Lehre, ohne sie wirklich verdaut zu haben, so bleibt man in der Dualität in Bezug auf diese Lehre. Es bleibt ein Gegensatz zwischen dem, was ich wirklich empfinde und dem, was ich empfinden soll. Daraus entsteht ein Schuldgefühl, eine innere Spannung: „Eigentlich sollte ich in dieser Situation zen bleiben, aber ich schaffe es nicht.“ Und so kann man nicht gleichmütig sein.
Um wirklich gleichmütig zu sein, muss man nicht nur mit seiner üblichen Art im Umgang mit anderen vertraut sein, sondern ebenfalls mit unserer Buddhanatur. So schaffen wir es, uns nicht von den Wellen an der Oberfläche unseres Lebens aus der Ruhe bringen zu lassen.
Schwimmt man an der Oberfläche des Meeres, wird man schnell zum Spielball der Wellen. Es reicht schon, einige Meter in die Tiefe abzutauchen um Ruhe zu finden.
Die Zazenpraxis hilft uns dabei, nicht an der Oberfläche der Dinge zu bleiben, sondern eine Tiefensicht zu entwickeln, dank derer die Unruhe der Welt um uns herum uns nicht mehr ansteckt. Das heißt nicht gleichgültig der Umgebung gegenüber, sondern unaufgeregt und somit eher in der Lage, adäquat auf eine Situation zu reagieren. Mit anderen Worten: Weisheit entwickeln.
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*Anm.d.Übers.: « zen » wird in der franz.Umgangssprache auch als Adjektiv benutzt
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